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Die Rheinpfalz, 10.06.2009:

WENN HÄUSER WEINEN

Vor dem Abriss eines Ludwigshafener Siedlungsblocks haben 26 Künstler die Wohnungen in Kunstobjekte verwandelt

Von Hans-Ulrich Fechler
Das hat es in Ludwigshafen noch nie gegeben. Künstler beziehen einen Häuserblock kurz vor seinem Abriss und verwandeln Wohungen und Fassaden in Kunstobjekte. In diesem Kultursommer ist eine solch ungewöhnliche Kunstaktion in der Ernst-Reuter-Siedlung zu erleben. Ab 19.Juni, noch vor der offiziellen Eröffnung des Kultursommers, können die Kunstwohnungen in der Ostpreußenstraße besichtigt werden, bevor dann Anfang Juli die Abrissbirne zuschlägt.
"Das weinende Haus" steht an der Ostpreußenstraße 26, dem mittleren der drei Häuser des Blocks. Im Treppenhaus setzt Klaus Hopf die Aufschrift bildlich um. Aus abgeschlagenem Putz rinnen Farbspritzer wie Blut aus einer Wunde oder wie Tränen, auf jeder Bellmanns Fassadenkunst deutlich. Aus allen Fenstern baumeln Flatterbänder, Drahtseile und Schnüre, an denen Dosen, Radios, Stühle, Kuhglocken, ein Lampenschirm mit einer brennenden Glühlampe und andere für den Sperrmüll bestimmte Dinge aufgefädelt sind.
"Warum lebt ein Lebewesen, wenn es doch stirbt?" Ihre Antwort auf die oft gestellte Frage nach dem Sinn einer Kunstaktion in einem Gebäude, das doch der Zerstörung geweiht ist, hat Christine Hohmann in das Treppenhaus mit der Nummer 28 geschrieben. Hohmann und die Literatin Margot Hella Scherr aus Dannstadt-Schauernheim haben die Kunstaktion mit dem Titel "RaUmgestaltung" gemeinsam initiiert und organisiert. Auf die Idee sind sie durch Freunde in Berlin gekommen.
Die Wohungsbaugesellschaft GAG hat ihnen die "zum Rückbau freigegebene Häuserzeile" in der Ostpreußenstraße überlassen. Vor wenigen Tagen ist der letzte Mieter ausgezogen, am 6.juli ist Abrisstermin. 26 Künstler aus Ludwigshafen, Mannheim, Worms, Mainz, Heidelberg, Freiburg und Lörrach haben sich daran gemacht, in den Wohnungen Denkanstöße zur Vergänglichkeit zu geben. Manche haben schon im April begonnen, die leeren Räume herzurichten. "Der Bau wird nochmal belebt, bevor er zu Grabe getragen wird", sagt Hohmann.
Die Malerin hat gleich zwei Wohnungen in der dritten Etage der Nummer 28 gestaltet. In der einen sind Spuren der Mieter ausgelegt : Sand aus einem Blumentopf, Besteck, Bücher, alte Kleider, Hand- und Fußabdücke. In der anderen Wohnung sind die Wände so von Nikotin vergilbt, dass Christine Hohmann auf einen makabren Einfall gekommen ist. In die Fenster hat sie Röntgenbilder von Raucherlungen gehängt, auf den Boden eine gelbe Fluchtlinie gezeichnet, für diejenigen, die von Atemnot befallen werden.
Im obersten Stockwerk macht sich der Architekt Wolfgang Himmelmann Gedanken über den "Kohleblock", der das Haus einmal war, und das "Sonnenhaus", das der Neubau werden soll. In der zweiten Etage sind zwei Dreier-Künstler WGs anzutreffen. In der einen setzt Angelika Ritscher-Engert sehr bunt Denkweisen bildlich um, drapiert Rosieta Braun mit einer lebensprallen Nana und großen Herzen die Wände, lädt Walter Pfannhuber zu Urlaub im Badezimmer ein. Gegenüber hat Hedda Schermer ein provencalisches Interieuer als trompe l´oeuil an die Wand gemalt, hat Silvia Henninger Kleidungsstücke in Erinnerungsfetzen verwandelt, lässt Dieter Hoffmann spüren, was Sehnsucht bedeutet.
Margot Hella Scherr im Parterre warnt gleich an der Haustür : "Vorsicht Kunst". Die Wohnungsbegehung ist eine Zeitreise. In einem Zimmer klagt die Künstlerin die Manipulation des Menschen am Menschen an mit Kinderbildern und Zeitungausschnitten mit der Schlagzeile : "In USA bald Wunschkinder auf Bestellung". Im "Raum des Seins" wird man beim Lesen eines Gedichts von dem monotonen Hörsignal eines Computerspiels begleitet.
Es gibt noch viel zu sehen in den Künstlerwohnungen in den anderen Häusern. Doch neidlos gestehen alle Rahman Al Jabiri den Preis der schönsten Wohnung zu. Durch Gucklöcher blickt der Betrachter in zwei schwarz ausgemalte Räume. Schwarzlichtfarbe macht weiße aufgetragene arabische Schriftzeichen sichtbar. Wäre da nicht im Hintergrund das Stimmengewirr vom Band, die Wohnung des gebürtigen Irakers mit Atelier im Hemshof würde vollkommene Ruhe ausstrahlen.